…dachten sich wahrscheinlich viele Zuschauer, als sie mich am 21. Januar 2019 in der Kölner LANXESS Arena am Boden liegen sahen. Beim Spiel um den Einzug ins Halbfinale der Handballweltmeisterschaft in Deutschland verdrehte ich mein Knie so stark, dass ziemlich viel kaputt ging – einschließlich meines Traums im eigenen Land ins Halbfinale einzuziehen und die Chance auf eine Medaille mit der Nationalmannschaft zu wahren. Wie kann man es schaffen, in solch einer Situation positiv zu bleiben?
Und nun? – Immer positiv denken
Welche Erkenntnisse zieht man aus so einem Unfall? Bestimmt keine positiven werden sich die meisten Menschen denken. Doch ich kann Ihnen sagen, dass ich sehr viele positive Erkenntnisse für mich und für meine Fähigkeit zur Motivation gewonnen habe, und eine davon möchte ich gerne mit Ihnen teilen:
So eine Verletzung verursacht natürlich große Schmerzen und manch einer möge glauben, dass man in dieser Situation an nichts anderes denkt – oder an nichts anderes denken kann. In meinem Fall war es anders. Ich war für einen kurzen Moment nur für mich. Es war, als würde alles in Zeitlupe ablaufen und ich nahm die knapp 20.000 Zuschauer, Mitspieler und Therapeuten nicht wirklich wahr. Es gingen mir in Sekundenschnelle viele Gedanken durch den Kopf. Was mich dabei faszinierte, war, dass sich diese Gedanken extrem schnell ordnen ließen. Zumindest für diesen Bruchteil entstand automatisch ein starkes, positives Denken.
Dann kehrte die Lautstärke zurück – so schnell wie sie gegangen war und ich hörte wieder, wie die Therapeuten und Ärzte von mir wissen wollten, wo es schmerzte und die Sanitäter mich vom Feld trugen.
Gedanken ordnen
Genau diese intuitive Einordung meiner Gedanken hat mir sehr geholfen, meine Verletzung hinzunehmen – aber mehr noch, diese anzunehmen und damit umzugehen. Ich dachte in den kommenden Stunden intensiv über mich und meine Gesundheit nach. Ich musste irgendwie die notwendige Selbstakzeptanz lernen. Das eigene Selektieren bestimmter Gedanken führte dazu, dass ich von Beginn an nie in Selbstmitleid versank. Für mich war klar: Mein Knie ist jetzt kaputt. Ich werde mindestens für die nächsten sechs Monate keinen Handballwettkampf mehr spielen können. Prinzipiell ist dieser Gedanke beziehungsweise das Bewusstwerden einer solchen Tatsache ein Schock für jeden Sportler. Das war es in gewisser Weise auch für mich. Der Fokus auf die kommenden Stunden und Tage war aber stärker. Für eine Selbstheilung ist positiv zu denken und positiv zu bleiben extrem wichtig, denn Selbstmitleid hätte mir manche Fragen in dieser Hinsicht nicht beantworten können. Ich wollte Klarheit über den Ablauf meiner Behandlung. Dabei war es für mich sehr hilfreich, dass ich mir schon im Laufe meiner Karriere bewusst gemacht hatte, welchen Spezialisten ich bei einer Knieverletzung aufsuchen wollte. Dadurch konnte ich mit meinen Ansprechpartnern im Verband und Verein in den darauffolgenden Stunden so zielführend kommunizieren, dass schnell klar war, was zu tun war und wie es weiter gehen sollte. Das, so mein Gefühl, gab mir unglaublich viel Sicherheit, um mich selbstbewusst mit der Situation auseinanderzusetzen. Meine Motivation war es, so schnell wie möglich wieder einsatzbereit zu sein. Nachdem die Diagnose feststand, sich der Verdacht auf „Totalschaden“ (Aussage des Arztes) bestätigt hatte und die Operation auf den nächsten Tag terminiert war, verstärkte sich diese Sicherheit noch einmal – obwohl die Nachrichten sich laufend verschlechterten. Innerlich wusste ich nun, dass ich Zeit hatte, mich ausreichend um meinen Körper und meine Selbstheilung zu kümmern.
Erst wenige Tage später fiel mir auf, dass ich in den ersten Tagen nach dem Unfall keine einzige Träne vergossen hatte. Obwohl es in diesem Moment um den Verlust des Spiels, der Teilnahme an der Weltmeisterschaft, der Saison und natürlich meiner Karriere ging. Mein Fokus war allerdings so extrem auf den unmittelbaren Heilungsprozess gerichtet, dass mir diese Gedanken erst Tage später nachts im Krankhaus kamen, als ich dann wirklich für mich alleine war. In diesen Momenten verstummte der Trubel der vergangenen Tage und Wochen wirklich und die Emotionen konnten – und sollten aus meiner Sicht – auch raus.
Erkenntnis: Einstellung & Sichtweise
Eine bestimmte Situation oder ein persönliches Schicksal anzunehmen, kann unterschiedlich schwer sein. In meinem Fall habe ich das erfolgreich getan und mir wurde einmal mehr bewusst, wie gut man anhand der richtigen gedanklichen Einstellung mit so einer Situation umgehen kann. Entscheidend ist es, Selbstakzeptanz zu lernen, um dadurch das Selbstmitleid zu überwinden. Verletzungen können in meinem Beruf passieren – diesem Risiko setze ich mich tagtäglich aus. Auf diesen einen Fall war ich innerlich vorbereitet und hatte – wahrscheinlich auch zum Teil unterbewusst – in den vergangenen Jahren vorausgeplant. Darum wusste ich eben genau, von welchem Arzt ich behandelt werden wollte. Meine Gedanken griffen zu diesem Zweck auf eigene Erfahrungen, aber auch auf die Resultate anderer Sportler zurück. Das gab mir die oben beschriebene Sicherheit, mich nicht im Selbstmitleid zu wälzen, sondern die Situation zu bewältigen und sie Selbstheilung voranzutreiben.
Daraus schließe ich heute, dass es durchaus sinnvoll war, mir zu bestimmten Themen und Situationen im Vorfeld Gedanken zu machen, um dann schnellstmöglich und auch intuitiv im Ernstfall reagieren zu können.
Jeder hat privat oder im Beruf Themen, die ihn aus der Bahn werfen können. Sich in diesen Situationen auf seinen inneren Plan zu fokussieren, kann helfen das Beste daraus zu machen.
Das liegt allerdings nur an einem selbst.
Ihr Martin Strobel
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[mks_one_half]Martin Strobel ist deutscher Handballspieler (HBW Balingen-Weilstetten) und fiel 2019 bei der Weltmeisterschaft nach einer schweren Knieverletzung im Hauptrundenspiel aus.[/mks_one_half]
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Bilder: © Marco Wolf