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Über die Überwindung der Fight-or-Flight-Response

fight or flight response

Inhaltsverzeichnis

Wie Sie Ihre Mitarbeiter darin unterstützen, Veränderungen anzunehmen und loszugehen

Wann geht es endlich los mit den Change-Methoden? Wann bekomme ich mehr Werkzeuge, noch mehr Hilfsmittel, um meinen Veränderungsprozess zu führen und voranzutreiben?“ Vielleicht haben Sie sich diese oder eine ähnliche Frage schon gestellt?

Wenn Sie den letzten Beiträgen über die Führung von Veränderungsprozessen gefolgt sind, freue ich mich sehr für Sie. Sie sind bereits mitten in der Ausgestaltung einer Veränderungsbereitschaft. Und es kommt noch besser. Denn aus meiner Sicht haben Sie die wohl schwerste Hürde einer durch den Wandel navigierenden Führungskraft schon hinter sich gebracht.

Welche Hürde meine ich?

Wir möchten Sie auf ein kurzes gedankliches Experiment einladen. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kapitän. Seit einigen Wochen sind Sie unterwegs mit Ihrem Schiff, der „MS Change“, um neues, unbekanntes Land zu erobern. Ihr Ziel ist klar: weg vom alten Hafen, hin zu spannenden, neuen Ufern. Und das so schnell wie möglich oder zumindest vor der Konkurrenz. Lange im Voraus holten Sie alle verfügbaren Informationen ein, tauschten sich mit Kollegen aus, planten die Reiseroute. Doch trotz all Ihrer zeitintensiven Vorbereitungen verwehrt Ihnen eine große graue Nebelwolke die klare Sicht auf Ihr Ziel. „Was soll‘s“, schießt es Ihnen durch den Kopf, „wenn ich erstmal losgegangen bin, wird sich der Nebel schon lichten.“ Sie holen tief Luft und trommeln alle Männer und Frauen, die Sie auf dieser Expedition begleiten sollen, zusammen. Doch als Sie sich umblicken, stellen Sie fest: Nicht nur beim Blick in die Ferne, sondern auch um Sie herum herrscht dichter Nebel. Nur wenige vertraute Gesichter stehen an Ihrer Seite, bereit, Ihnen zu folgen. Den Großteil Ihrer Mannschaft können Sie nur noch schemenhaft in etwas Entfernung erahnen.

Das war die Situation, bevor Sie – vielleicht mit den Impulsen des letzten Artikels – anfingen, Fragen zu stellen. Heute wissen Sie, dass Ihnen die Fragen dazu dienen, sich der Rahmenbedingungen bewusst zu werden, unter welchen Sie starten. Dank Ihrer Bereitschaft, auf Ihre Mitarbeiter zuzugehen, Fragen zu stellen und mit echtem Interesse zuzuhören, haben Sie bereits ein großes Stück dazu beigetragen, dass sich der dichte Nebel um Sie herum mehr und mehr lichtet und der Klarheit weicht. Einiges, das Ihnen seit langem kognitiv bewusst war, können Sie nun auch auf der emotionalen Ebene verankern. Unter den sicherlich zahlreichen individuellen Erkenntnissen, die Sie für sich sammeln, möchte ich Folgende hervorheben:

Erkenntnis Nummer 1: Widerstand dient dem Ausgleich von Unsicherheit und Angst

Durch die direkten Gespräche mit den Mitarbeitern verstehen Sie nun auch emotional, warum einige mit zahlreichen Gegenargumenten auftrumpfen und sich energisch bemühen, Kollegen für sich zu gewinnen, während sich andere in sich zurückziehen oder beispielsweise durch Krankheit versuchen, der drohenden Unsicherheit angesichts bevorstehender Veränderungen auszuweichen.

Diese, nach dem Physiologen Walter B. Cannon benannte „Fight-or-Flight-Response“ war überlebenswichtig zu Zeiten der Urmenschen: Im Angesicht des Säbelzahntigers oder bei Unbekanntem musste in Sekundenschnelle entschieden werden. Angreifen oder Fliehen? Heute führt dieser Mechanismus allerdings zur Erhaltung des Status quo.

Ihnen ist klar, dass ein solches Verhalten, meist unbewusst herbeigeführt ist. Vielmehr dient das als aktiver oder passiver Widerstand wahrgenommene Verhalten dazu, die innere Unsicherheit auszugleichen.

Erkenntnis Nummer 2: Die Höhe des Widerstands ist abhängig vom Selbstvertrauen

Im Dialog haben Sie ein noch tieferes Verständnis davon bekommen: Jeder einzelne nimmt die aktuelle Situation Ihres Unternehmens ebenso wie den geplanten Wandel völlig individuell wahrgenommen und interpretiert sie unterschiedlich.

Die Wirkung dieses individuellen Erlebens können Sie unmittelbar in dem zum Großteil durch Widerstand geprägten Verhalten beobachten. Dabei lautet meine These, dass die Intensität des Widerstands wesentlich durch zwei Faktoren beeinflusst wird:

  • Durch das selbst wahrgenommene Selbstvertrauen:
    Selbstvertrauen beschreibt das durch Ergebnisse und Erfolge aufgebaute Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten in einem Kontext. Durch zahlreiche Wiederholungen und das Erleben von Selbstwirksamkeit wird es genährt und gestärkt. Im Wandel sollen jedoch eingeübte Verhaltensweisen und Handlungsstrategien losgelassen und Sicherheit vermittelnde Gewohnheiten aufgegeben werden. In der Folge sinkt das Vertrauen, mit der neuen Situation umgehen zu können, unmittelbar.
  • Durch die Klarheit über das Ziel:
    Ist noch nicht ganz klar, was zukünftig auf die Mitarbeiter zukommt, d.h. wodurch das gewohnte Verhalten ersetzt wird, löst das beim Mitarbeiter Stress aus. Die fehlende Klarheit über die Zukunft verstärkt den oben beschriebenen Effekt. Das Selbstvertrauen sinkt weiter.Das Positive daran: Widerstand ist Energie. Energie, die bis jetzt noch in die falsche Richtung geht. Ihre Aufgabe als wirkungsvolle Führungskraft besteht darin, diese destruktive Energie in konstruktives, den Wandel unterstützendes Engagement zu transformieren.

Erkenntnis Nummer 3: Emotionen entscheiden darüber, ob Ihre Mitarbeiter den Weg Richtung Wandel einschlagen

Sie haben auf der emotionalen Ebene erfahren, dass es nicht ausreicht, die Notwendigkeit des Veränderungsbedarfs rational, auf der Ebene des Verstandes zu vermitteln. Gemäß dem Hirnforscher Gerhard Roth gibt es zwar „ein rationales, d.h. vom Verstand geleitetes Abwägen von Handlungen und Alternativen und ihren jeweiligen Konsequenzen, es gibt aber kein rationales Handeln.“ Entgegen bisheriger Annahmen belegt die aktuelle Hirnforschung, dass in Zeiten der Veränderung, unabhängig davon ob privat oder beruflich, nicht mehr Ihr Intellekt das Steuer in der Hand hat – sondern Ihre Emotion. „Die Chance des Verstandes ist es, mögliche Konsequenzen unserer Handlungen so aufzuzeigen, dass damit starke Emotionen verbunden sind, die zur Entscheidung führen“, so Gerhard Roth. [1]

Das bedeutet, dass all Ihre sicherlich guten rationalen Argumente für Ihre Mitarbeiter auch emotional annehmbar sein müssen. Denn die Annahme des Veränderungsbedarfs auf der emotionalen Ebene ist die Grundvoraussetzung, um auch auf der Verhaltensebene eine Veränderung zu ermöglichen. Dazu bedarf es starker Emotionen.

Wie können Sie diese Erkenntnisse nun für Ihr Vorhaben nutzen?

Wie können Sie erreichen, dass Ihre Mitarbeiter die Veränderungen auch emotional annehmen? Wie kann es Ihnen gelingen, die vorhandene Energie in Engagement umzukehren? Welche Möglichkeiten haben Sie, um Ihre Mitarbeiter darin zu unterstützen, auch unter neuen Rahmenbedingungen Selbstvertrauen aufzubauen und handlungsfähig zu sein?

  • Überzeugen Sie nicht durch Ihre Worte, sondern durch Ihre Taten:Gehen Sie mit Ihrer Mannschaft vor Ort und schauen Sie sich die Ausgangssituation gemeinsam genau an. Dies gibt Ihnen die Chance, den Status quo in seinen Einzelheiten kognitiv und emotional zu begreifen. Sie können die Befürchtungen ihrer Mitarbeiter schneller nachvollziehen, da sie sich selbst ein umfassendes Bild von der Ist-Situation gemacht haben. Sie erkennen mögliche Widerstände früh und können diese im Dialog gezielt ansprechen. Durch Ihre Präsenz vor Ort zeigen Sie Ihr Interesse und signalisieren deutlich, dass Sie für Ihre Mitarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das schafft Vertrauen.
  • Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, sich die aktuellen Kennzahlen ihres Bereichs regelmäßig gegenseitig vorzustellen, wenn möglich sogar täglich. Dies erhöht die Transparenz und die Mitarbeiter verstehen immer besser, welchen Einfluss ihre eigene Tätigkeit auf das Ergebnis hat. Durch das Erkennen des eigenen Beitrags zum Unternehmenserfolg und die regelmäßige Auseinandersetzung damit, bekommen sie den emotionalen Zugang dazu. Die Mitarbeiter identifizieren sich immer mehr mit dem Ergebnis und übernehmen Verantwortung. Sie erfahren, dass ihre aktive Mitarbeit nötig und sinnvoll ist und dass sie es sind, die mit ihrer Expertise wesentlich zur Verbesserung der Kennzahlen und damit des Unternehmensergebnisses beitragen.
  • Achten Sie darauf, dass die Mitarbeiter nachvollziehen können, wie das interne Prozessergebnis nach außen, also in Richtung Kunde, wirkt. Stellen Sie beispielsweise Produkte mangelhafter Qualität als Anschauungsmaterial zur Verfügung und diskutieren Sie im Anschluss gemeinsam die Wirkung auf den Kunden sowie mögliche Lösungswege. Die Notwendigkeit für eine Veränderung wird somit auch emotional erlebbar.
  • Entwickeln Sie kurzweilige, kleine Planspiele und Simulationen, um die Auswirkungen der geplanten Veränderungen im geschützten Rahmen klar und nachvollziehbar darzustellen und zu erleben. Auf diese Weise geben Sie Ihrer Mannschaft die Chance, die an zukünftige Situationen geknüpften Befürchtungen schon jetzt abzubilden und durchzuspielen. So können bereits im Vorfeld gemeinsame Lösungswege erarbeitet werden. Ihre Mitarbeiter bauen im geschützten Rahmen das nötige Selbstvertrauen auf und bleiben in der Komplexität des Alltags auch in schwierigen Situationen handlungsfähig.

Ergänzen Sie diese Impulse gerne mit eigenen Ideen, denn: Ihre Mitarbeiter sind die Experten in ihrem Bereich. Nutzen und fördern Sie dieses große Potenzial indem Sie ihren Gedanken und Ideen Raum für das emotionale Erleben geben. Dann werden sich zu den anfangs wenigen Vertrauten mehr und mehr enge Verbündete gesellen, die Sie voller Tatkraft unterstützen und mit Ihnen gemeinsam die herausfordernde Reise ins (noch) unbekannte Land meistern.

Darum sind Sie nicht wirklich glücklich.

Warum Erfolg und Erfüllung nichts miteinander zu tun haben.

[1] (Gerhard Roth: Evolution des Gehirns – Evolution der Freiheit. In: Jan-Christoph Heilinger (Hg.): Naturgeschichte der Freiheit. Berlin 2007, S. 173)

Bildquelle: © enishirotie Fotolia.com #92109526

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