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Psychologischer Filter – Nähe verzerrt

psychologischer filter

Inhaltsverzeichnis

Im letzten Blogbeitrag haben wir über Wahrnehmung und das Entstehen von Weltbildern gesprochen. Wir möchten dieses Thema noch einmal aufgreifen und genauer auf einen Aspekt des psychologischen Filters „Verzerrung“ eingehen.

Das Experiment

Beginnen wir mit einem kleinen Experiment: Bitte halten Sie sich mal einen Ihrer Daumen drei oder vier Zentimeter vor die Nasenspitze. Wie scharf sehen Sie Ihren Daumennagel? Verschwommen?

Nun bewegen Sie ihn bitte langsam auf die Nasenspitze zu, bis sich beide berühren.

Wie scharf sehen Sie ihn jetzt? Gar nicht mehr …

Was ich mit diesem Experiment sagen möchte? In diesem Beispiel wird besonders deutlich und erlebbar, was Nähe mit der Sehschärfe macht – sie verzerrt.

Nun frage ich Sie: Welcher Mensch ist Ihnen am nächsten? Wen nehmen Sie also besonders verzerrt wahr? Ihre Eltern, Ihre Kinder, Ihren Partner? Nein, es sind Sie selbst! Wir alle haben eine mehr oder weniger stark verzerrte Wahrnehmung von uns selbst. Rein anatomisch ist das auch gar nicht anders möglich.

Sie haben noch etwas Mühe, das so anzunehmen? Hier ein zweites Beispiel: Bitte beschreiben Sie JETZT einmal so genau wie möglich den Klang Ihrer eigenen Stimme. Notieren Sie sich die Beschreibung und legen Sie den Zettel kurz beiseite. Sicher haben Sie Ihre Stimme schon auf einem Anrufbeantworter gehört.

Wie klingt sie im Vergleich zu dem, was Sie notiert haben und wie Sie sich sonst selbst hören?

Welche der beiden Perspektiven sehen Sie als verzerrt an? Ad hoc lautet die Antwort vermutlich so: „Den Anrufbeantworter natürlich.“ Doch, wenn wir eine Weile nachdenken, wissen wir, die Verzerrung liegt in unserer Selbstwahrnehmung.

Wie geht es Ihnen jetzt? Sind Sie überrascht? Unsicher? Immer noch etwas ungläubig? Können Sie die Tatsache gut annehmen oder haben Sie das schon lange vermutet oder sogar gewusst?

Sich selbst (er)kennen

Der Ausspruch „Gnothi Seauton“ – eingemeißelt im Tempel von Delphi, von einigen wird er Sokrates von anderen Chilon von Sparta zugeschrieben – bekommt hier eine wichtige Bedeutung.

Übersetzt steht dort: „Erkenne dich selbst“. Das so scheinbar Einfache stellt sich allerdings häufig als eine der schwierigsten Aufgaben heraus!

Wenn unsere Akademie mit Boris Grundl als Referenten ein Event organisiert mit etwa 300 oder 500 Besuchern im Saal, passiert am Anfang oft Folgendes:

Die Teilnehmer werden gefragt: „Wer von Ihnen kennt sich selbst?“ Danach schauen wir meistens in Gesichter, welche ausdrücken: „So eine Frage hab ich selten gehört! Was soll das?

Anschließend führen wir ein kleines Experiment durch: Wer also glaubt, sich selbst zu kennen, hebt eine Hand, wir stellen fünf Fragen. Wer diese (in Gedanken sich selbst) klar und präzise beantworten kann, behält die Hand oben. Wer dazu nicht in der Lage ist, nimmt sie runter.

  1. Wer kennt seine aktuellen Top fünf Werte im Leben?
  2. Wer kennt seine Top fünf Stärken?
  3. Wie konkret stärken Sie Ihre Stärken?
  4. Wer kennt seinen Haupt-Wertekonflikt, der ihn in seiner Entwicklung und in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen hemmt?
  5. Wer kennt seine nicht tolerierbaren Schwächen und weiß, wie er sie ausmerzt?

Bislang mussten wir nie alle fünf Fragen. Die Hände sinken schon lange vorher.

Das Fazit: Wir kennen uns selbst viel zu wenig! Diese Erkenntnis schmerzt vielleicht ein bisschen. Dennoch, es ist so. Und das liegt daran, dass wir auf uns selbst keinen neutralen Blick werfen können.

Feedback – neutrale Perspektive?

Ist das Feedback von außen also eine wirkungsvolle Hilfe? Wie wertvoll ist so ein Feedback zu meiner Wirkung – dass es sich um professionelles Feedback handelt, sei hier einmal vorausgesetzt?

Letztlich vermittelt das Feedback nichts anderes, als die Perspektive des Anrufbeantworters. Mit einem gewaltigen Unterschied: Die Maschine hat keine Filter. Sie nimmt objektiv wahr, was wirklich ist.

Wir Menschen können das nicht. Unsere Wahrnehmungen sind immer subjektiv, selektiv, durch Bewertung interpretativ. Und je näher wir dran sind, desto verzerrter wird unsere Wahrnehmung.

Je neutraler wir einem Menschen gegenüberstehen, ohne emotionale Befindlichkeiten, umso klarer ist unser Bild von ihm.

Starke Emotionen wie Liebe, Sehnsucht oder mit anderem Vorzeichen – Antipathie, Zorn, Hass – aktivieren den Filter der Verzerrung und lassen ihn auf Hochtouren laufen.

Was bedeutet das Ganze jetzt für Sie selbst? Für Ihre eigene Führung, für Ihre persönliche Entwicklung? Haben Sie zu Ihren Mitarbeitern genügend Distanz, um Sie so unvoreingenommen und sachlich nüchtern wie möglich wahrzunehmen?

Eine gute Möglichkeit sich selbst noch besser kennenzulernen bietet unter anderem das Seminar Steh auf!

Bildquelle: © SkyLine Fotolia.com #67528268

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