Dass Kommunikation in der Führung und in jeder Art der menschlichen Beziehungen unerlässlich und bedeutend ist, gilt als Binsenweisheit. Auch gibt es zahllose Kommunikationsmodelle, die uns mehr oder weniger instruktiv das Phänomen Kommunikation nahebringen. So beginnt nach dem Sender-Empfänger-Modell die Kommunikation erst beim Empfänger und nicht beim Sender, wie viele meinen. Senden kann man viel – bis in den Weltraum hinaus.
Auch das Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun ist nützlich, denn wir hören beziehungsweise senden mit den vier Seiten der Nachricht: Sache oder Inhalt, Selbstkundgabe, Beziehung und Appell. Jeder möge sich fragen, ob er ein Lieblingsohr oder eine Lieblingszunge hat. Es gilt, Kommunikation in ihrer Komplexität zu begreifen und sich von der Wahrheit der eigenen subjektiven Realität zu verabschieden. Wir müssen als Führungskräfte ständig an der Erweiterung unserer „Kommunikationsklaviatur“ arbeiten. Das heißt immer wieder kritische Selbstreflexion und Empathie. Nur so können wir die Realität des anderen Menschen annähernd erkennen und unsere Kommunikation entsprechend ausrichten. Meines Erachtens beruhen fast alles Konflikte dieser Welt auf unterschiedlicher Wahrnehmung. Grund genug, dieses Thema weiter zu vertiefen.
Jeder hat seinen eigenen Stil
Heute möchte ich die Kommunikation einmal mit den unterschiedlichen Arten der Aufgaben verknüpfen. Bekanntermaßen gibt es bei den Aufgaben einige Aspekte, die man unterscheiden kann. Es gibt teilbare und einheitliche Aufgaben, maximierende im Sinne von Quantität und optimierende mit Blick auf Qualität. Aufgaben können sich addieren, wie beim Schnee-Schaufeln, oder wir haben ein akutes Problem zu lösen, sodass gegebenenfalls die Expertise eines Einzelnen die Lösung bringt. Es gibt verbindende Aufgaben, die auch vom schwächsten Gruppenmitglied abhängen können, zum Beispiel Bergsteigen. Und schließlich gibt es unterscheidende Aufgaben, deren Bewältigung von der möglichst guten Nutzung aller individuellen Fähigkeiten in einem Team abhängt, die sich entsprechend ergänzen.
Warum ist das wichtig? Nun, jeder hat seinen eigenen Kommunikationsstil, auch wenn er weiß, dass es andere Stile gibt. Aber immer gemäß seinen Gewohnheiten zu kommunizieren, kann auch Ressourcen verschwenden oder verwirren. Wir sind also wieder bei der „Klaviatur“ in der Kommunikation, die eine Führungskraft beherrschen sollte. Fangen wir ganz einfach an und nehmen dazu ein Modell zur Hand, das mir nützlich erscheint: das Media Richness Model, ursprünglich von Robert H. Lengel und Richard L. Daft entwickelt.
So wie es beim Flow-Modell des unaussprechlichen Glücksforschers Mihaly Csikszentmihalyi eine geeignete Proportionalität zwischen Fähigkeiten und Anforderungen geben muss, um die Zeit zu vergessen und glücklich im Flow unterwegs zu sein, wird in der Medienreichhaltigkeitstheorie die Komplexität der Aufgabe mit der Art des Mediums in Beziehung gesetzt.
Komplexität vs. Medium
Was heißt das konkret? Wer kennt sie nicht, diese E-Mails, die den ganzen Bildschirm ausfüllen mit Bandwurmsätzen, wobei rechts erkennbar ist, dass man noch weit scrollen muss, um ans Ende zu gelangen? Wer hat noch nie einen Kollegen erlebt, der ständig Face to Face sprechen will, wahrscheinlich weil er oder sie nicht allein sein kann? Und dann gibt es die Telefonsüchtigen, die Skype-Fanatiker, die Präsentationsfetischisten, die sich in Folienorgien ergehen – und vieles mehr.
Dabei ist das Ganze letztlich sehr einfach und lässt sich auf zwei Achsen schön auftragen: Die Horizontale gibt die Komplexität der Aufgabe beziehungsweise den Grad der Kompliziertheit an – von simpel (nahe am Ursprung) bis sehr komplex (weit rechts auf der X-Achse). Auf der Vertikalen tragen wir nun die Medien ein und beginnen nahe am Ursprung mit dem geschriebenen Wort, das heutzutage im Geschäftsleben meist per E-Mail oder Chat abläuft. Meines Erachtens sind 90% aller E-Mails zu lang. Der Verfasser denkt sich etwas und hackt es in die Tasten. Jeder kennt die laut denkenden Menschen, sodass man die Worte, die aus dem Mund kommen, schon auch mal als „Logorrhö“ (abgeleitet von der Diarrhö …) bezeichnen kann. Demnach wären die erwähnten E-Mails wohl gut als „Tipporrhö“ beschrieben. Wenn wir dann noch die cc-Unkultur in den Unternehmen hinzuziehen, kommen wir auf eine unglaubliche Zeitverschwendung durch das Verschicken und Lesen solcher Nachrichten. Ganz zu schweigen vom „Reply All“ Button.
An dieser Stelle zitiere ich gerne Johann Wolfgang von Goethe, der einmal an seinen Freund einen Brief schrieb. Der begann so: „Mein lieber Freund, heute bekommst Du von mir einen langen Brief. Leider hatte ich keine Zeit, einen kurzen zu schreiben.“ Dieses Zitat ist einer meiner wichtigsten Merksätze für meine E-Mail-Kommunikation geworden. Bei wichtigen Kunden, die sehr wenig Zeit haben, überarbeite ich eine E-Mail bis zu 10 Mal, um wirklich alles Überflüssige zu eliminieren und den Dreh mit Blick auf eine möglichst einfache Art der Antwort des Empfängers auf den Punkt zu bringen.
Zurück zur Y-Achse des Media Richness Model
Über der schriftlichen Kommunikation folgen das Telefon beziehungsweise Telefonkonferenzen, dann das Video-Telefonat und entsprechende Web-Sessions. Schließlich ist die höchste Medienreichhaltigkeit das persönliche Erleben der Person oder der Gruppe. Hier haben wir auch alle nonverbalen Signale perfekt vor uns, die wir entsprechend aufnehmen und verarbeiten können.
Ziel ist es, in der eigenen Kommunikation als Führungskraft das geeignete Verhältnis zwischen Komplexitätsgrad der Aufgabe und Medienreichhaltigkeit zu treffen. Insofern trifft man sich nicht persönlich, um einfache Dinge zu regeln oder zu lösen. Und man schreibt keine E-Mails, um komplizierte Sachverhalte zu erläutern. Klingt einfach, wird aber vielfach missachtet. Ein weiterer wichtiger Punkt bei diesem Modell ist das Thema Unsicherheit, das in unseren Zeiten ja immer stärker zutage tritt und entsprechend Stress verursacht. Wenn es viele Veränderungen im Unternehmen gibt, sollte man bei der Media Richness in der Tendenz nach oben gehen, also auf der Y-Achse (siehe Bild). Damit können Unsicherheiten vermieden und Ambiguitäten besser ausgehalten werden.
Mir hat das Modell geholfen.
Wie kommunizieren Sie in Ihrer täglichen Führungsarbeit?
Ihr Uli Vogel