Warum schaffen es gewisse Menschen leichter als andere, mit schwierigen Situationen erfolgreich umzugehen? Die Welt wird immer komplexer und die (gefühlten) Risiken werden immer vielfältiger. Gibt es Methoden, die unzähligen Krisen und Katastrophen zu meistern? Was hilft in der Not und was verschlimmert sie noch? Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Konzepte es gibt, um die Widerstandskraft von Menschen und Systemen zu vergrößern. Die „Resilienz“ beschreibt dabei die Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände zu behaupten.
Stress und Krisen
Die Zeiten waren schon immer schwierig. Was sich steigert, ist die Veränderungsgeschwindigkeit. Alles wandelt sich dauernd. Man kann kaum noch planen. Man muss sich permanent anpassen – an andere Anforderungen und Verantwortungen, an das Umfeld. Zudem wird die gefühlte Unsicherheit immer größer. Wenn dann auch noch mehrere Krisen – möglicherweisen in unterschiedlichen Lebensbereichen – gleichzeitig auftreten, können sich Menschen überfordert oder hilflos fühlen. Wenn es zu viel wird, brechen sie zusammen und geben auf.
Eine SECO Studie aus dem Jahr 2010 zeigte auf, dass etwa ein Drittel der Schweizer Erwerbsbevölkerung sich häufig bei der Arbeit gestresst fühlt. Es wurde festgestellt, dass die hohe Fragmentierung und Änderungsgeschwindigkeit bei der Arbeit chronisch auftretende Belastungsfaktoren sind. Zudem fehlt den Mitarbeitern oft die Orientierung durch fortlaufende Umstrukturierungen, organisatorische Änderungen, unklare Anweisungen und Erwartungen sowie emotionale Dissonanz mit Kollegen und Vorgesetzten. Zu diesen permanenten Stressoren kommen individuelle Krisen dazu. Irgendwann kann dadurch die Belastungsgrenze überschritten werden und der Mensch resigniert, fühlt sich als Opfer.
In der Psychologie gibt es das Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Die Verletzlichkeit einer Person ist zu einem Teil von ihrer Resilienz abhängig. Wenn ein leicht verletzlicher Mensch in eine stressende Situation gerät, sind seine Möglichkeiten eingeschränkt, diese erfolgreich zu meistern. Der gleiche Stress kann von jemandem mit geringerer Vulnerabilität mit höherer Wahrscheinlichkeit bewältigt werden. Die Verletzlichkeit ist individuell verschieden und kann nur wenig beeinflusst werden. Es macht daher wenig Sinn, von empfindlichen Menschen zu verlangen, sie müssten sich nur mehr zusammenreißen. Wenn die Belastung zu groß wird, können als Folge psychische und physische Störungen auftreten, die im Extremfall zu chronischen Krankheiten führen.
Überlastung erkennen
An verschiedenen Reaktionen und Verhaltensweisen kann schon frühzeitig erkannt werden, dass es jemandem zu viel wird (anderen oder einem selbst). Dazu gehören diese Veränderungen, die häufig auftreten:
- Ohnmacht oder das Gefühl von Kontrollverlust
- Weigerung, Entscheidungen zu treffen
- Unfähigkeit, Alternativen oder neue Möglichkeiten zu erkennen
- Verdrängung nicht wahrhaben wollen
- Festhalten an Bekanntem (nichts Neues versuchen)
- Sehr kritische Wahrnehmung der Realität
- Zynische und sarkastische Äußerungen
- Energieverlust und Leistungsrückgang
- Geringes Selbstwertgefühl
- Psychosomatische Leiden
Wer solche Symptome bei sich oder anderen wahrnimmt, sollte Hilfe holen oder anbieten.
Resilienz
Der Begriff „Resilienz“ (lat. resilire = zurückspringen) stammt ursprünglich aus der Werkstofflehre und beschreibt die Elastizität oder Formbeständigkeit. Resilienz ist die Größe, die aufzeigt, wie gut ein Material in die ursprüngliche Form zurückkehren kann. Ein Schwamm ist bis zu einer gewissen Grenze sehr leicht verformbar, ein Glas ist es in festem Zustand nicht.
Resilienz wird auch in anderen Kontexten verwendet: Es gibt resiliente Systeme (zum Beispiel Firmen, Volkswirtschaften) und auch Individuen. Diese Eigenschaft wird in extremen Situationen erkennbar (wie Krisen, Katastrophen). In diesem Sinne beschreibt die Resilienz, wie lange es für die Bewältigung und Erholung dauert.
Aus Jean de La Fontaines (1621 – 1695) Fabel „Die Eiche und das Schilfrohr“: Ich beuge mich, aber ich breche nicht!
In der Psychologie beschreibt Resilienz die Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Wenn sie groß ist, können Menschen schwierige Phasen ihres Lebens mit Zuversicht und innerer Sicherheit ohne bleibende Beeinträchtigung meistern – und im Idealfall sogar gestärkt daraus hervorgehen.
Der Begriff Resilienz umfasst alle Kräfte, die Menschen aktivieren, um das Leben in guten und besonders in schlechten Zeiten zu meistern. Das kann man für sich alleine tun oder man kooperiert mit anderen. In schwierigen Situationen wird der Handlungsspielraum oft kleiner. Das führt zu einer stärkeren Fokussierung auf die verbleibenden Optionen. Individuen verfügen nicht generell über eine große oder geringe Resilienz. Sie hängt von der speziellen Konstellation ab, in der sich jemand befindet. Auch wenn eine Person eine Krise im Beruf gut gemeistert hat, heißt das nicht, dass sie bei einem privaten Schicksalsschlag ebenso widerstandsfähig ist (oder umgekehrt). Wenn jemand resilient ist, kann man allerdings hoffen, dass die Person mit unterschiedlichen Schwierigkeiten erfolgreich umgehen kann, sofern sich die Vorkommnisse nicht kumulieren oder zu häufig wiederholen (zum Beispiel mehrere Todesfälle in einer Familie).
Krisenkompetenz
Auf normative Krisen (Einschulung, Pubertät, Heirat, Klimakterium, Pensionierung, Tod …) kann man sich eher vorbereiten als auf individuelle Krisen (Scheidung, Entlassung, Krankheit / Unfall …), die oft unerwartet eintreten. Der aktive Umgang mit Krisen ist notwendig (die Not wenden). Man ist gezwungen, die bisherige Strategie zu ändern und loszulassen. Das eröffnet neuen Raum und neue Chancen. In der Krise liegt auch eine große schöpferische Kraft. Allerdings braucht es meistens viel Geduld und eine günstige innere Einstellung. Zudem ist es oft hilfreich, wenn man den Blickwinkel oder die Weise, wie man die Begebenheiten interpretiert, ändert.
Die chinesischen Zeichen für „Krise“ setzen sich aus Teilen der Zeichen für „Gefahr“ und „Chance“ zusammen. Eine Krise bietet die Gelegenheit, Neues anzupacken und Möglichkeiten zu nutzen. Sie zwingt dazu, Bekanntes zu hinterfragen und Unbekanntes zu wagen.
Boris Grundl: „Eine Krise ist nichts anderes als der Zwang, sich zu verändern.“
Umweltfaktoren: Familie, Gemeinschaft, Kultur
Die Wissenschaft beschäftigt sich schon lange mit der Resilienz. Eine Langzeitstudie (Emmy Werner, University of California, Kauai-Studie, veröffentlicht 1977) mit knapp 700 Menschen, die von Kindheit an bis ins reife Alter begleitet und immer wieder befragt wurden, zeigte, dass sich Kinder unter misslichen Umständen erwartungsgemäß schlechter entwickeln als solche ohne traumatische Erlebnisse. Sie belegt aber auch, dass sich ein beachtlicher Teil der Einwohner von Kauai (Hawaii) trotz vielfältiger Belastungen erfolgreich entwickelt hat.
Die Kauai-Studie lieferte erstaunliche Ergebnisse: Trotz teilweise prekärer Vorkommnisse in der Kindheit und Jugend entwickelte sich rund ein Drittel der untersuchten Menschen zu leistungsfähigen, zuversichtlichen und fürsorglichen Erwachsenen. Diese hatten mit vierzig Jahren die niedrigste Rate an Gesundheitsproblemen, Scheidungen und Todesfällen. Zudem kam niemand mit dem Gesetz in Konflikt oder bezog Sozialhilfe. Die Menschen schauten zuversichtlich in die Zukunft und zeigten Mitgefühl für Notleidende. Ungefähr ein Drittel der untersuchten Bevölkerung erwies sich somit als überdurchschnittlich resilient.
Wichtig war das Umfeld:
- Wie geht eine Kultur mit Schwierigkeiten und Misserfolgen um?
- Wie groß ist der Zusammenhalt in der Gemeinschaft?
- Wie geht man mit Fehlern oder Versagen um?
- Wie wird der Mensch von der Sache getrennt?
- Welche gemeinsamen Werte und Prinzipien werden gelebt?
- Wie wird die Welt wahrgenommen und wie wird das Geschehene interpretiert?
Anscheinend ist das Verhalten der Mitmenschen für die Betroffenen sehr wichtig. Das gilt nicht nur für jeden einzelnen als Teil der Gesellschaft, sondern insbesondere auch für Organisationen. Wenn man für andere Menschen verantwortlich ist, zum Beispiel als Elternteil, Lehrer, Führungskraft …, sollte man Hilfe anbieten und die Voraussetzungen schaffen, damit andere ihre Krise möglichst erfolgreich bewältigen können.
Personale Faktoren: kognitive und emotionale
Neben der Umwelt sind individuelle Stärken entscheidend dafür, wie widerstandsfähig Menschen sein können. Die Resilienz ist unter anderem abhängig von diesen kognitiven Faktoren:
- Intelligenz und Bildung
- Persönliche Werte und Prinzipien
- Art, wie Individuen die Realität deuten und einen Sinn erkennen
Auch emotionale Faktoren sind wichtig, wie:
- Toleranz für Ungewissheit
- Fähigkeit, Emotionen und Handlungen zu kontrollieren
- Fähigkeit zur Selbsteinschätzung
- Selbstwirksamkeitsverständnis
- Fähigkeit, Beziehungen zu gestalten
- Einstellung zu Problemen (Problemfixierung / Ergebnisorientierung)
Anhand der Liste ist zu erkennen, dass man vieles ändern kann. Resilienz lässt sich zu einem gewissen Grad entwickeln. Das eigene Denken und die innere Einstellung kann man bewusst verändern. Besonders die Wichtigkeit des Sinns im Leben hat der berühmte Neurologe und Psychiater Victor E. Frankl in seinen Büchern beschrieben. Er überlebte die Jahre der Tortur in Konzentrationslagern dank seiner inneren Haltung („Wille zum Sinn“). Wie man über etwas denkt und wie man es interpretiert, kann man selbst bestimmen. Denn: Nicht was wir erleben, sondern wie wir empfinden, was wir erleben, und wie wir damit umgehen, macht unser Schicksal aus.
Konzentration auf das Veränderbare
Wir können alles beklagen, doch der Nutzen daraus ist gering. Wer Probleme erfolgreich meistern will, sollte sich auf das fokussieren, was veränderbar ist und was man beeinflussen kann.
Benjamin Franklin (1706 – 1790): „Während wir nicht alles kontrollieren können, was uns passiert, können wir kontrollieren, was in uns passiert.“
Der Autor Stephen R. Covey (The Seven Habits of Highly Effective People) unterscheidet drei Interessenbereiche mit Einflussmöglichkeiten, die er mit konzentrischen Kreisen (Circle) darstellt, von außen nach innen:
- Circle of Concern, 0 Prozent (Besorgnis: Bereich, der nicht beeinflussbar ist – insbesondere auch die Vergangenheit)
- Circle of Influence, 50 Prozent (Beeinflussung: Bereich, in dem man (teilweise) selbst entscheiden kann – man ist noch abhängig von anderen)
- Circle of Control, 100 Prozent (Kontrolle: Bereich, für den man volle Verantwortung übernehmen sollte. Eigene Einstellung und Fokus auf das, was man ändern kann – unmittelbare Kontrolle hat man nur über sich selbst)
Selbstverständlich sollte man sich proaktiv bemühen, die inneren Kreise zu vergrößern, um mehr Handlungsspielraum und Erfolgsmöglichkeiten zu bekommen.
Reinhold Niebuhr (1892 – 1971): „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Resilienz entwickeln
Auch wenn man Krisen nicht immer vermeiden kann, selbst wenn man sich rechtzeitig um Probleme kümmert, ist es zumindest möglich, sich auf schwierige Zeiten vorzubereiten. Resilienz lässt sich entwickeln, indem man sich frühzeitig um sich selbst und um das eigene Umfeld kümmert. Unsere innere Haltung, wie wir denken und empfinden, sollte optimiert werden.
In unseren Führungskräftetrainings empfehlen wir, „die Seele zu putzen“. Zudem kann man sich ein tragfähiges Netzwerk schaffen, das einen auffängt, wenn die eigene Kapazität einmal nicht ausreichen sollte. Damit sind nicht die Social Networks im Internet gemeint, sondern die Familie, Verwandte und Bekannte, Nachbarn, Arbeitskollegen sowie Gemeinschaften, die helfen können, wenn es erforderlich ist.
Man sollte sich eingestehen, dass man nicht alle Probleme alleine meistern kann. Zudem ist die Reaktion auf Krisen individuell. Was dem einen schon zu viel wird, kann für andere leicht zu bewältigen sein. Und nur weil jemand eine Herausforderung gemeistert hat, heißt es nicht, dass die gleiche Person mit anderen Schwierigkeiten ebenfalls fertig wird.
Resilienz ist kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Reihe von Fähigkeiten. Sie kann erworben werden, in jedem Alter. Resilienz funktioniert ähnlich wie ein Muskel: Man kann sie trainieren. Das Selbstvertrauen wird gestärkt, indem man mit schwierigen Lebensaufgaben erfolgreich umgeht. Die Belastbarkeit wächst – in Grenzen – gerade dadurch, dass sie beansprucht wird. Allerdings gilt auch wie bei einem Muskel: Eine übermäßige Belastung führt zu einer Schwächung. Und zu kurze Pausen bewirken ein Übertraining – die Leistungsfähigkeit sinkt. Menschen müssen die Gelegenheit bekommen, sich ausreichend von Schicksalsschlägen zu erholen. Die Aussage: „Was mich nicht umbringt, macht mich stark!“, gilt also nicht generell.
Ihr Team vom Grundl Leadership Institut
Bildquelle: „Schwamm“ ©Fotolia Pit #149766454, „Glas“ Pixabay