„Ich bin kein überzeugender Redner.” „Ich schaffe es einfach nicht, meine Wochen besser zu planen.” „In Konflikten fehlen mir immer die richtigen Worte.” – Kennen Sie diese oder ähnliche innere Monologe? Wir sagen uns täglich, was wir sind, was wir können oder nicht können und viel zu oft sprechen wir dabei absolut. „Immer. Nie. So bin ich. So nicht.“ Doch das ist fatal. Für Ihre Wirkung als Führungskraft und Ihre Entwicklung als Mensch.
Mag sein, dass Sie Schwierigkeiten haben, überzeugende Präsentationen zu halten. Aber vielleicht können Sie Ihre Partnerin regelmäßig mit Leichtigkeit von Ihrem Standpunkt überzeugen.
Mag sein, dass Sie mit Ihrem Terminkalender auf Kriegsfuß stehen. Aber vielleicht ist das auch erst der Fall, seitdem Sie den langzeiterkrankten Kollegen vertreten müssen und die Zahl Ihrer Meetings exorbitant angestiegen ist.
Und während Sie bei Konflikten im Job leicht aus dem Konzept zu bringen sind, fällt es Ihnen im Freundeskreis überhaupt nicht schwer, die richtigen Worte zu finden.
Keine Persönlichkeit ist eindimensional
Wenn wir in absoluten Begriffen sprechen, tun wir uns unrecht. Denn in aller Regel ist unser Denken, unser Verhalten und unser Fühlen kontextgebunden. Unsere Persönlichkeit ist nicht so eindimensional, wie wir uns manchmal selbst glauben machen wollen.
In der Wissenschaft haben sich die Modelle der inneren Anteile (vergleiche Gunther Schmidt), der inneren Teams (vgl. Friedemann Schulz von Thun) oder der inneren Familie (vergleiche Richard Schwartz) dafür etabliert.
Innere Teams – Was ist damit gemeint?
Menschen sind komplexe Wesen und nicht eindimensional. Je nach Kontext empfinden, denken und handeln wir anders. Überspitzt könnte man sagen: Wir bestehen aus vielen Ichs. Die Betrachtungsweise mag erst einmal befremdlich wirken. Sie ermöglicht es aber, uns nicht vollständig mit unseren Problemen zu identifizieren.
Die Arbeit mit inneren Seiten ist als Dissoziationstechnik zu verstehen. Das heißt, man betrachtet sich selbst gewissermaßen von außen. So erlauben Sie sich, ein Problem so zu verstehen, dass nicht Sie als ganzer Mensch davon betroffen sind und sich vollständig mit diesem Problem identifizieren. Im besten Fall gelingt es Ihnen, dass nur eine Seite von Ihnen sich vorübergehend mit dem Problem identifiziert. Sie schaffen Abstand und verschaffen sich Handlungsspielraum. Ein pragmatischer Ansatz.
Wenn Sie sich absolut als schlechten Redner, unstrukturierten Arbeiter und so weiter bezeichnen, dann manövrieren Sie sich in die Opferhaltung. Sie haben keine Chance, sich zu ändern. Denn Sie sind ja so. Für Ihre eigene Entwicklung und Ihre Wirkung als Führungskraft ist das wenig hilfreich.
Wie können Sie dieses Seitenmodell für sich nutzen?
Wenn Sie sich das nächste Mal dabei ertappen, wie sie sich radikal be- oder verurteilen, dann suchen Sie nach Unterscheidungen. Suchen Sie nach Lebensbereichen, in denen Ihnen Ihr gewünschtes Verhalten doch gelingt. In denen Sie bereits andere Denkstrukturen anwenden und in denen Sie die Reaktionen aus Ihrem Umfeld bereits anders bewerten. Suchen Sie nach Unterschieden im Denken, Fühlen und Handeln. Die Erkenntnis, dass diese Unterschiede ein Schlüssel für persönliche Entwicklung sind, ist nicht neu. Bereits Steve de Shazer betonte in seiner Forschung die Wichtigkeit, Unterschiede für sich arbeiten zu lassen.
Diese Unterscheidung – beziehungsweise die Erkenntnis, dass Misserfolge, Krisen und Defizite nur eine Seite in einem momentanen Kontext in uns darstellt – ist nicht nur für Ihre persönliche Entwicklung entscheidend. Sie kann auch Katalysator für gelingende Führung sein.
Überlegen Sie, wie Sie Ihre Mitarbeiter beurteilen. Wann haben Sie das letzte Mal gedacht: „Herr Müller hält auch keine Deadline ein” oder „Frau Meier kann sich nie durchsetzen”? Wenn wir in absoluten Begriffen sprechen, nehmen wir uns und den Menschen, die wir führen, die Chancen auf Veränderung und Weiterentwicklung.
Öffnen Sie die Tür zur Verantwortung
Erklären Sie Ihren Mitarbeitern das Seitenmodell. Machen Sie Ihre Mitarbeiter kompetent, und öffnen Sie damit die Tür zur Verantwortung. Nicht nur bei Problemen können Ihre Mitarbeiter dann selbst auf die Suche nach Unterscheidungen gehen, die ihnen beweisen, dass sie es anders und besser können. Die Kunst besteht darin, sich selbst auf die Schliche zu kommen, indem sie bei negativen Gedanken und Selbstkritik kurz innehalten und aus einer Beobachterrolle heraus das eigene Erleben und Verhalten neu bewerten.
Nur wenn Ihre Mitarbeiter selbst die Unterschiede erkennen, können sie die Opferrolle verlassen. Nur dann haben sie Selbstvertrauen und Motivation, Veränderungen aktiv anzugehen. So entstehen am Ende bessere Ergebnisse. Statt mit der Faust auf den Tisch zu hauen, erwägen Sie beim nächsten Mitarbeitergespräch eine Lektion im Seitenmodell. Es wird sich auszahlen. Auch wenn das Gespräch dann etwas mehr Hirnschmalz erfordert.
Denjenigen, die sich jetzt denken: Dürfen wir denn gar nicht mehr absolut sprechen und auch mal unserem Ärger Luft machen? Denen sage ich: Doch natürlich, eine Seite an Ihnen darf sogar das…
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