Organisationen interessieren sich für Lösungen, nicht für eine möglichst präzise Beschreibung und Erklärung des Problems. Manchmal scheint aber genau das die Barriere zu sein, die es zu überwinden gilt.
Eine genaue Definition des vorhandenen Problems, das Infrage stellen von Erklärungen und ersten Lösungsvorschlägen kann wichtige Impulse setzen. Allerdings nur, wenn im Anschluss ein konsequentes, lösungsorientiertes Denken stattfindet. Ursachenforschung darf nicht letztendliche Priorität erhalten, denn schon Albert Einstein sagte: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
Der Unterschied liegt in der Haltung
Für mich gibt es zwei Möglichkeiten, an Probleme heranzutreten. Entweder versuche ich – aus tiefer Überzeugung heraus – für jede passende Lösung ein Problem zu finden oder ich versuche umgekehrt, für ein Problem die passende Lösung zu finden. Die erste Variante nennen wir problemorientiert, die andere lösungsorientiert.
Lösungsorientiert zu denken bedeutet, dass ich – wirklich – versuche, Lösungen zu finden, die ein Problem beheben. Wenn ich eine Lösung habe, diese mein Problem aber nur zum Teil behebt, passe ich sie so lange an, bis sie das Problem ausreichend abdeckt und vollständig löst.
Auf der anderen Seite steht problemorientiertes Denken. Ich fange an, bei jeder Idee, die eine Lösung darstellen könnte, nach neuen Problemen zu suchen. In dieser Haltung habe ich im Kern gar kein Interesse daran, Probleme zu lösen, sondern möchte nur die Probleme ausführlich präsentieren.
Unsere Kultur der Problemorientierung
Boris Grundl sagte bereits in seinem Buch „Mach mich glücklich“: In Deutschland zählt der Kritisierende oft mehr als derjenige, der das Werk erschaffen hat – wenn wir uns schon in den Ergebnissen den „Großen“ unterlegen fühlen, dann wollen wir uns wenigstens moralisch überlegen fühlen.
In unserer Kultur ist es nach wie vor verankert, dass wir akribisch nach der Ursache suchen: Warum ist das Problem entstanden und noch viel wichtiger, wer ist schuld? Keiner versucht mehr, ein Problem zu lösen und erst recht nicht, Verantwortung zu übernehmen.
Lösungsorientiertes Denken fängt im Kleinen an
Ein allgemeines Beispiel:
Ich schicke ein Dokument zum Druck und gehe zum Drucker, um es abzuholen. Mein Arbeitskollege hat aber gestern Abend dasselbe getan und ich weiß, dass er sehr viel gedruckt hat. Jetzt stelle ich fest, dass der Drucker kein Papier mehr hat. Ich habe nun genau zwei Möglichkeiten:
- Möglichkeit: Ich gehe jetzt zu meinem Kollegen und gebe ihm die Schuld, dass wir kein Papier mehr im Drucker haben und ich dadurch nicht drucken kann. Dieser gibt womöglich dann die Schuld der Reinigungsfachkraft, weil sie es hätte sehen können und diese gibt die Schuld an unsere Assistenz weiter.
- Möglichkeit: Ich gehe in unser Lager, hole neues Papier und fülle es auf.
Meine Geschichte zum Thema Lösungsorientierung:
In jungen Jahren fiel mir zum ersten Mal auf, wie viele Menschen tatsächlich ausschließlich problemorientiert denken.
Mit 16 Jahren stand ich vor Gericht und Jugendamt. Ich stand hier nicht, weil ich etwas verbrochen hatte, sondern weil ich eine Lösung für mein Problem suchte. Ich wollte mich nämlich mit einer Marketing-Agentur selbständig machen. Als ich meine Idee zum ersten Mal äußerte, wurde ich aber geradezu von problemorientierten und wenig lösungsorientierten Menschen erschlagen.
Mit Sätzen wie:
- …die Bürokratie in Deutschland ist zu kompliziert.
- …du weißt gar nicht, wie teuer das ist.
- …mit 16 Jahren kann man sich nicht selbständig machen.
Diese Sätze kamen von Personen, die oberflächlich nach Problemen suchten. Ich suchte im Gegensatz zu ihnen akribisch nach einer Lösung: nach der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Interessanterweise war es zu diesem Zeitpunkt so: Je präziser meine Lösung war, desto präziser sahen die Anderen die Probleme.
Es folgten Sätze wie:
- …du machst doch gerade deinen Abschluss, das wird das Vormundschaftsgericht nicht zulassen.
- …du bist letztes Jahr sitzengeblieben. Wer soll dir erlauben, dich selbständig zu machen.
Sie merken, jeder stürzte sich auf Probleme und die Lösung rückte für diese Menschen in den Hintergrund. Ich aber hatte eine potenzielle Lösung gefunden und folgte ihr. Das Ergebnis fiel zu meinen Gunsten aus, ich durfte meine eigene Online-Marketing Agentur starten.
Interessant war nun, dass dieselben „Problem-Analysten“ wenig später neue Probleme erkannten.
Es folgten Sätze wie:
- …wie willst du mit 16 Jahren Kunden überzeugen?
- …du bist zu jung für die Geschäftswelt!
Natürlich sind das erstmal „Probleme“, die sich lösen lassen, aber nur, wenn ich wirklich Interesse daran habe. Ich hatte starke Referenzen aufgebaut und in eigenen Projekten starke Ergebnisse geliefert. Meine Ergebnisse sprachen ihre eigene Sprache. Das sahen schließlich auch meine Kunden. So wurden irgendwann namhafte Hersteller auf mich aufmerksam und wollten mit mir arbeiten. Sie sehen: Wer lösungsorientiert denkt, erzielt oft eine ganz andere Wirkung.
Die Digitalisierung als Stütze zur Lösungsorientierung
Die Lösung für mein Problem war die Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht. Und wo hatte ich sie gefunden? Im Internet!
Haben Sie schon einmal ein spezifisches Problem in Google gesucht? Sie werden feststellen, dass Sie ausgesprochen selten problemorientierte Artikel finden. Niemand schreibt online von seinen Problemen, ohne einen Lösungsvorschlag parat zu haben und wird dafür in der Regel mit gutem Ranking belohnt. Je lösungsorientierter ein Artikel, desto besser wird er gefunden.
Lösungsorientiertes Denken im Alltag
Die Wirkung dieser Unterscheidung hilft mir persönlich tagtäglich, „Probleme“ besser zu bewältigen.
Das lösungsorientierte Denken ist anspruchs-, aber dafür wirkungsvoll. Das problemorientierte Denken ist zwar trivial, aber auch wirkungsloser. Es ist ein Preis, den man für dieses Denken bezahlen muss.
Immer wenn ich mich dabei erwische, dass ich Probleme suche anstatt Lösungen, rufe ich mir diese Unterscheidung ins Bewusstsein. Und ich schmunzle darüber, dass ich mal wieder nur Probleme aufzeigen wollte, die ich eigentlich lösen sollte.
Ihr Marcel Roll