Das Thema Wertschätzung ist gegenüber Mitarbeitern und darüber hinaus in aller Munde: Wertschätzung im Beruf und am Arbeitsplatz, in Partnerschaft und Familie. Wertschätzung wird lautstark kommentiert und eingefordert. Sie ist dadurch zu einem Modewort geworden. Und wann immer so eine Modewelle aufkommt, lohnt es sich, einmal tiefer dahinter zu schauen.
Was ist Wertschätzung im Kern eigentlich? Als ich anfing, mich näher mit Wertschätzung für meine Mitarbeiter und im Allgemeinen zu beschäftigen, merkte ich, dass ich den Begriff für mich selbst noch nicht sauber durchdrungen und damit definiert hatte. Auch in Gesprächen mit anderen beschrieben diese den Begriff sehr schwammig. In den ersten Recherchen habe ich keine hilfreichen Definitionen gefunden. Schließlich habe ich doch noch eine Differenzierung gesehen, die das Wesen der Wertschätzung fassbarer macht: die Unterscheidungen „Marktnorm“ und „soziale Norm“.
Marktnorm heißt Marktgesetze: Erbringe Leistung, erarbeite einen „Mehrwert“ für das Unternehmen und erhalte dafür Geld. Diese Welt ist nüchterner, kühler. Soziale Norm beschreibt die Gesetze der sozialen Bindung. Diese Welt ist wärmer, geprägt durch persönliche Nähe und verbindende Gemeinsamkeiten. In der Marktnorm geht es um Macht und Dominanz, im Sozialen eher um Akzeptanz und Augenhöhe.
Es waren nur noch ein paar Tage bis zum Weihnachtsfest. Gerade dort spielt das Thema Wertschätzung eine besondere Rolle, denn schließlich werden reichlich Werte verschenkt. Da stellt sich mir die Frage, warum wir eigentlich bei den Geschenken das Preisschild entfernen. Ist es, damit der andere nicht sieht, was das Präsent gekostet hat? Oder einfach, weil wir es schon immer so gemacht haben? Nein, keineswegs. Wir wollen nicht, dass das Geschenk durch den aufgedruckten Preis im Bereich der Marktnorm bleibt. Durch das Entfernen des Preisschildes signalisieren wir, dass wir das Geschenk in die Beziehungsebene, eben in die soziale Norm, heben wollen.
Wann zeigen wir Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern und Familie?
Was ist das wichtigste Gefühl, das ein Mensch braucht? Ich habe das schon oft in meinen Vorträgen und Seminaren bei den Teilnehmern abgefragt. Das Ergebnis: Der Mensch sucht nach einer besonderen Form der Wertschätzung, er möchte anerkannt und geliebt werden, so wie er ist! Ohne, dass er eine Rolle erfüllen oder Leistung erbringen muss. Ohne zu funktionieren wie eine Maschine, sondern dass er als Mensch – wie er ist – angenommen wird. Manche nennen das Liebe!
Wohin gehört nun diese essenzielle Emotion? In die Marktnorm oder in die soziale Norm? Die Antwort ist sofort klar: in die soziale Norm. Was passiert nun, wenn ein Mitarbeiter dieses starke Gefühl nicht innerhalb seines sozialen Normenkreises erzeugen kann? Weil die tragende Familie oder ein Freundeskreis als Nest nicht vorhanden ist? Dann zieht diese Erwartungshaltung in unsere Unternehmen ein und wir erwarten, dass das Unternehmen dieses Defizit ausgleicht. Wenn Menschen in der sozialen Norm wirklich geliebt werden, wenn sie dort ein echtes Nest haben, dann suchen sie dieses Nest und diese Art der Wertschätzung nicht am Arbeitsplatz.
Es existieren Fälle, denen die soziale Norm in die Marktnorm transportiert wird. Ein Beispiel aus meinem Leben dazu: Wegen des Rollstuhls kann ich nicht einfach einen Mietwagen nehmen. Also hat sich ein Freund von mir darum gekümmert, mir einen gebrauchten Kombi, der umbaufähig ist, für meine Wohnung auf Mallorca zu besorgen. Der Freund ist Automechaniker. Er hat sich einen ganzen Tag freigenommen, um das mögliche Fahrzeug zu besorgen und zu überprüfen. Ich fragte meinen Freund, was ich ihm schuldig sei – schließlich hat er einen vollen Tag Urlaub dafür geopfert. Und seine Antwort? Er reagierte pikiert auf meinen Vorschlag und sagte: „Gib mir ein Bier aus, wenn wir uns das nächste Mal sehen.“ Mir wurde klar: Ich hatte einen Fehler gemacht; ich hatte die Gesetze des Marktes in die soziale Norm gebracht.
In der Familie und im Freundeskreis (soziale Norm) ist es für Menschen von Bedeutung, Wertschätzung dafür zu erhalten, dass sie einfach da sind. Einfach so. Als Mensch. Diese Nähe und Nächstenliebe ist für uns als soziale Wesen sehr wichtig. Wertschätzung bedeutet hier Anerkennung als Mensch. Diese bringe ich meinem Gegenüber bedingungslos – losgelöst von jeder Bedingung – entgegen, weil er da ist und weil wir uns gegenseitig im Leben als Menschen bereichern. Diese Art der Wertschätzung schenke ich meinen Kindern, meinem Partner, meinen Freunden.
Im Job (Marktnorm) ist das anders. Dort entsteht Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern durch Wertschöpfung für das Unternehmen. Es ist also eine Form von Respekt, den ich mir durch erbrachte Ergebnisse verdiene. Meinen Wert als Mitarbeiter bestimmen die Werte, die ich für die Firma schaffe. Die Führungskraft sollte Respekt zollen und damit Wertschätzung entgegenbringen, wenn Mitarbeiter ihre Ziele erreichen und Ergebnisse erzielen.
Wertschätzung bei Mitarbeitern – Das Unternehmen ist keine Familie
Wenn wir lernen, sauber zu unterscheiden und jede Handlung passend einzuordnen, vermeiden wir unglaublich viele emotionale Spannungen – denn unerfüllte Erwartungen werden vermieden. Die, die im Job eine Mitarbeiteranerkennung in Form von Liebe suchen, anstatt sich Wertschätzung für tatsächlich erbrachte Leistung zu erarbeiten, möchten schon ein Lob für ihre Anwesenheit und ihre guten Absichten. Für solche Menschen wird jedes negative Feedback zur Selbstwert-Nagelprobe. Sie verwechseln Feedback mit Lob. Jede sachliche Kritik wird als persönlicher Angriff gewertet, da sie sich in erster Linie eine reine Bestätigung als Mensch erhoffen (soziale Norm). Sie müssen sich klar machen, dass man ihren Wert als Mensch zwar nicht bestreitet, dass es hier, im Job, in erster Linie aber um etwas ganz anderes geht, nämlich um Ergebnisse für die Firma.
In Unternehmen werden durch das Signal „Wir sind eine große Familie“ (soziale Norm) falsche Erwartungen geschürt. Firmen sind weniger Anerkennungsorte für das reine „Menschsein“. Sie sind Wertschöpfungsfabriken durch erbrachten Nutzen beziehungsweise Ergebnisse. Ein Unternehmen ist nicht dazu da, dass man sich „fallen lassen“ kann, sondern um für den Gegenwert Geld einen Nutzen zu liefern und zu leisten. Fallen lassen sollte ich mich primär in der sozialen Norm. Deswegen ist ein intaktes privates Umfeld auch so wichtig! Es gilt: Aufladen in der sozialen Norm, leisten in der Marktnorm. Ein starker Satz dazu stammt von Theodor W. Adorno, der sagte: „Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“ Genau das ist Marktnorm eben nicht. Ein Lob für Bemühungen, Absichtserklärungen oder Selbstverständliches ist hier fehl am Platz. Viele Führungskräfte machen genau diesen Fehler, ihre Wertschätzung für Mitarbeiter zum Ausdruck bringen, obwohl die Ergebnisse noch zu schwach sind. Zur Marktnorm gehört tendenziell eher Erfolg, zur sozialen Norm eher Erfüllung.
Wenn ich an meinem mangelnden Selbstwert (Wert meines Selbst) nicht arbeiten will, bleibt mir nichts anderes übrig, als andere für die fehlende Anerkennung meines Wertes verantwortlich zu machen. Schuld daran, dass ich mich wertlos fühle, sind dann der Partner, die Kinder, der Chef, die Kameraden, die mir vermeintlich meine Anerkennung und damit Wertschätzung verweigern. Und was tue ich, wenn sich mein Vorgesetzter „aus der Deckung wagt“ und die Wahrheit sagt, der ich mich selbst nicht stellen will: „Du machst einen vernünftigen Job, bist aber deswegen noch lange nicht herausragend.“ Dann reagiere ich empfindlich und werfe ihm mangelnde Wertschätzung vor.
Betrachten wir das Bild der verletzten Ehefrau, deren Mann den gemeinsamen Hochzeitstag vergisst: Hat sie ein stabiles Selbstwertgefühl und ist die Beziehung intakt, dann wird sie über die Zerstreutheit ihres Mannes am Hochzeitstag lächeln. Vielleicht bestellt sie einfach an seiner statt einen Tisch im Restaurant. Ist ihr Selbstwertgefühl dagegen angeknackst, ist sie unzufrieden mit sich und ihrer Situation, dann trifft es sie hart, dass ihr Ehemann an diesem besonderen Tag nicht daran denkt, sie mit einer Aufmerksamkeit aufzuwerten, um ihren fehlenden Selbstwert zu kompensieren. Ihr stillschweigender Auftrag an ihn lautet: Gib mir Wertschätzung! Sie erwartet, dass er ihr das gibt, was ihr selbst fehlt. So lebt sie in dem unerfüllbaren Anspruch an ihren Mann: Mach mich glücklich! Dabei ist es eben genau dieser Anspruch, der direkt ins Unglück führt und so viele Beziehungen scheitern lässt.
Sie selbst definieren Ihren Wert
„Erkennen – Anerkennen – Transformieren“ heißt der Dreiklang. Zuerst muss ich erkennen, wie oft mir mein mangelnder Selbstwert im Wege steht. Ein Indiz für solche Momente ist die Freude, die ich empfinde, wenn jemand anderem etwas misslingt. Oder das Gefühl der Überlegenheit, das sich einstellt, wenn andere mentale Erniedrigung erfahren. Solche Gefühle entstehen nur aufgrund meines mangelnden Selbstwertes in diesem Moment. Dafür muss ich mich selbst beobachten lernen. Im nächsten Schritt gilt es, das emotional anzuerkennen. Eine schwierige Übung, denn erst, wenn ich die Verantwortung für diesen inneren Mangel übernehme, anstatt andere verantwortlich zu machen, kann ich ihn auch transformieren. Gelingt es mir, diese Verantwortung zu übernehmen, entwickle ich auch mehr Verständnis für das Gefühl der mangelnden Anerkennung und Wertschätzung, das Mitarbeiter und Menschen aus dem Umfeld haben.
Wir sollten aber auch wissen, dass das gefühlte Defizit desjenigen nicht dadurch aufzulösen ist, dass andere angeklagt werden. Sondern nur dadurch, dass man sich darüber bewusst wird, was jetzt da ist und das anerkennt. Nicht dem hinterher gieren, das man nicht hat, sondern das schätzen, was man hat. Schonungslos. Diese Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist eine große Stärke. Sie verhindert nicht nur Verbitterung, sondern auch Stagnation. Und sie verändert die Haltung zu meinem Umfeld: Mein Anspruch an andere, mich endlich gebührend wertzuschätzen, erübrigt sich. Stattdessen kann ich mich darauf konzentrieren, an mir zu arbeiten – und an den Ergebnissen, die ich erzielen will – also darauf, welchen Unterschied ich im Leben anderer machen kann. So finde ich meinen Platz im Leben. Dann ist es übrigens auch nicht mehr schlimm, wenn der Wert, den ich mir selbst gebe, aus welchen Gründen auch immer, niedrig ist. Wenn ich meinen Platz gefunden habe, muss ich das nicht mehr kompensieren.
Solange ich ein Problem mit meinem Selbstwert habe, ist jede Wertschätzung von außen immer nur eine Ersatzbefriedigung – ganz gleich, von wem sie kommt. Sie fühlt sich einen Moment lang gut an, aber sie löst das Problem nicht, denn das steckt in mir. Niemand kann es für mich lösen. Nur ich selbst kann das. Das schaffe ich, wenn ich beginne, zu erkennen, was in mir liegt. Dann finde ich eine Antwort auf die Frage, welche Wertschätzung ich mir selbst geben kann. Ihnen wünsche ich von Herzen, dass Sie das für sich erreichen. Denn das ist alles andere als leicht und verlangt einen großen Mut: Sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Ohne Verblendung, Selbstüberhöhung und Selbsttäuschung.
Darum sind Sie nicht wirklich glücklich.
Warum Erfolg und Erfüllung nichts miteinander zu tun haben.