Die Wirkung meiner Handlungen, die Ergebnisse, waren mir für eine lange Zeit nur sekundär wichtig. Primär war „beschäftigt sein“ wichtig. Mich im Handeln erleben. Und dann hoffentlich Anerkennung für meinen Aktionismus bekommen. Das machen doch alle so, also wird es schon richtig sein. Wie bei einer Gießkanne: viel zu tun, schwer beschäftigt, voller Terminkalender. Am besten von anderen viel gebraucht werden und um Rat gefragt werden. Das tut gut und gibt zusätzliche Bestätigung. Die Wirkung und Ergebnisse meiner Handlungen waren nur sekundär wichtig. Dass die Zerstreuung meiner Energie die Wirkung reduzierte, kam mir nicht in den Sinn. Und dass ich durch mein „Gebraucht-werden-Wollen“ andere klein hielt und von mir abhängig machte, auch nicht. Im Gegenteil: Ich fühlte mich gut dabei. Ich fühlte mich beliebt.
Durch das Beobachten anderer Personen fiel mir auf, dass es auch den Typus Menschen gab, die sich auf weniger konzentrierten und damit saustarke Wirkung erzielten, so wie Brenngläser. Doch die Konzentration auf die Wirkung wie bei einem Brennglas war mir unheimlich. Dies lehnte ich ab und verurteilte es moralisch, als unmenschlich. Eben wie so viele es tun: Weil diese Typen doch etwas streng zu sich und ihrem Umfeld waren. Für sie galt: Ergebnisse auf Platz eins, Beziehungen auf zwei. Und für mich galt: Beziehungen auf eins und Ergebnisse auf Platz zwei. Ich war eine Gießkanne und gefiel mir in dieser Rolle.
Doch der Reiz des »Aktivseins« veränderte sich. Aktiv zu sein allein reichte mir nicht mehr, ständig mussten irgendwo neue Reize her. Neue Kicks. Und so spürte ich mich mit der Zeit nur noch in Grenzbereichen als so richtig lebendig. Wohin dies führte, habe ich bereits erzählt. So weit meine Analyse. Die Frage ist also: Sind wir eher Gießkanne oder Brennglas? Und was möchten wir eigentlich lieber sein?
Der Leistungsgedanke prägt
Vor meinem Unfall hatte es keinen Anlass gegeben, darüber nachzudenken. Ich lebte einfach drauflos. Ein Leben im Hochgeschwindigkeitszug. Dabei war der Leistungsgedanke ganz fest in meinem Wertesystem verankert. Ich war durch ihn geprägt worden, und er bestimmte meine Persönlichkeit als Hochleistungssportler. Als Kind, als Schüler und junger Erwachsener war das Leistungsprinzip für mich ganz klar mit Anerkennung von außen verbunden. Darunter leidet so manches Kind, und auch ich habe manchmal damit gekämpft, denn im Umkehrschluss bedeutete es: Bringst du keine Leistung, bekommst du auch keine Anerkennung, keine Liebe und keine Aufmerksamkeit.
Ein großer Druck für einen Jungen, der in der Tat auch zu einem bestimmten Verhalten führte: Wer gewohnt ist, Anerkennung nur auf diese bestimmte Art und Weise zu erhalten, will auffallen, versucht ständig, im Mittelpunkt zu stehen. Und das tat ich auch. Meist fiel mir das nicht schwer. Meine Heimatstadt beispielsweise war überschaubar. Wenn ich im Freibad einen Salto vom Dreier machte, war ich schon ein toller Hecht. Auch zu Hause ging das Prinzip meist auf. In der Schule hatte ich keine Probleme, meine Noten waren gut, außerdem war ich ein talentierter Klarinettenspieler und Saxofonist. Und im Tennis stieg ich schnell vom Jugendklubmeister zum Herrenklubmeister und über den Bezirksmeister im Einzel und Doppel zum württembergischen A-Meister auf. Stadtmeister im Skifahren, Ringen, Schwimmen und, ja, Carrera-Bahnfahren. Bezirksmeister in der Leichtathletik und sogar schwäbischer Meister im Skispringen.
Der Wunsch nach Bestätigung
„Jetzt bin ich hier angekommen, dahin muss ich noch. Okay, dann kommt als Nächstes dieser Schritt, und vielleicht schaffe ich vielleicht auch noch einen.“ Immer weiter, weiter, weiter – das war mein Lebensmotto. Es war nicht verwunderlich, dass ich so dachte. Meine Eltern unterstützten das. Sie betrieben eine Tennisschule, und es passte gut, dass ihr Junge so eine Art Aushängeschild war. Sie wollten mir damit natürlich nicht schaden, und selbstverständlich fühlte ich mich meinen Eltern gegenüber verpflichtet. Mir war es recht, ich führte ein tolles Leben. Doch für meine beiden jüngeren Brüder wurde ich zu einem unangenehmen Paradebeispiel. Es war nicht leicht für sie, unter diesem Druck ihre eigene Identität zu finden. Das alles sind Themen, welche wir als Kinder untereinander und mit den Eltern mit der Zeit gemeinsam aufgearbeitet und transformiert haben. Natürlich bei Weitem nicht alles, doch sehr viel Entscheidendes. Darauf bin ich stolz. Denn oft scheitern Familien an ihren unbewussten Mustern aus der Kindheit. Auch diese Themen gilt es zu transformieren.
Was tun wir nicht alles, wie sehr verbiegen wir nicht uns manchmal, überfordern uns, können nicht Nein sagen und laden uns Unmengen an Aufgaben auf, versuchen, es allen Recht zu machen? Alles in der Hoffnung, dass wir zu hören bekommen: „Das ist ein hervorragender Vorschlag! Sie sind exzellent! Du siehst toll aus! Oder: Ich bin stolz auf dich! Ich liebe dich!“ Der Wunsch nach Bestätigung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Das steht außer Frage – wahrscheinlich, seit ein Apfelbaum dafür gesorgt hat, dass Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden.
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